Für die deutsche Verwaltung Samoas waren von Anfang an zwei Dinge charakteristisch: Erstens sollte und wollte man auf die Internationalität Samoas Rücksicht nehmen. Das hieß, daß man die Siedler und Händler aus Großbritannien und den angelsächsischen Pazifikkolonien nicht ausschließen, sondern ganz bewußt integrieren wollte. In stärkerem Rahmen als anderswo in deutschen Kolonien wurde dem nichtdeutschen Element deshalb die Möglichkeit der Einflußnahme gewährt. Da durch die Erklärung der deutschen Schutzherrschaft die bisherige Munizipalitätsorganisation hinfällig geworden war, wurde als Ersatz für den ebenfalls zwangsläufig
Deutsche, Briten und Amerikaner sowie die Mischlingsbevölkerung
im deutschen Samoa
Datum der Zählung Europäer insgesamt Deutsche davon Briten
Amerikaner 1 Mischlinge
01.01.1902 S 37U 310347 5146151 97483
103646 155381536
01.01.1903 S 41U 340381 8184192 137689
83139 163436599
01.01.1906 S 46U 408454 9249258 2383106
53035 149666815
01.01.1907 S 43U 412455 11237248 19103122
53035 148737885
01.01.1908 S 28U 408436 6256262 1486100
12425 139799938
01.01.1909 S 27U 441468 8262270 12101113
32831 142836978
01.01.1910 473 292 106 23 S 135U 8681.003
01.01.1911 491 284 117 37 S 128U 8811.009
01.01.1912 500 294 129 31 S 137U 859996
01.01.1913 544 329 132 35 S 137U 8881.025
01.01.1914 600 373 140 39 S 137U 8821.019
1 Vor dem 01.01.1912 wurden „Neger" unter der weißen Bevölkerung
mitgezählt S = Savai’i, U = UpoluQuelle: Jahresberichte über
die Entwicklung der deutschen Schutzgebiete in Afrika und der Südsee.
Für 1914: Jahresbericht 1913/14; NZA: AGCA 6051/0306
weggefallenen Munizipalrat ein Gouvernementsrat geschaffen, bei dem
die Beteiligung des angelsächsischen Bevölkerungsteiles von Anfang
an vorgesehen war. Der Gouvernementsrat, der aus beamteten Mitgliedern
der Kolonialverwaltung und aus europäischen Händlern bzw. Siedlern
Samoas bestand, war faktisch ein beratender Bürgerausschuß.
Diese Institution bewährte sich in Samoa derart, daß auf der
Grundlage des samoanischen Beispiels das Kolonialamt die Gouverneure der
anderen deutschen Kolonien aufforderte, ähnliche Gremien ins Leben
zu rufen. Im Unterschied zu Samoa waren die dort entstehenden Gouvernementsräte
allerdings eher als Interessenvertretung der deutschen Siedler, Händler
und Pflanzer gedacht. Es gab allerdings zeitweilig auch außerhalb
Samoas nichtdeutsche Gouvernementsratsmitglieder (etwa in Neuguinea).
Zum Ausgleich der nach dem deutschen „Sieg" in der Samoafrage dort
potentiell vorhandenen Gegensätze zwischen Deutschen und Briten berief
das Gouvernement zunächst zwei Engländer in den aus sieben außeramtlichen
Mitgliedern bestehenden Governementsrat. Dem besonderen britischen Gesicht
Samoas wurde auch dadurch Rechnung getragen, daß als faktische Geschäftssprache
im Gouvernementsrat lange Zeit das Englische in Gebrauch war. Nicht zu
übersehen ist allerdings, daß gegen Ende der zweiten Hälfte
der ersten Jahrzehnts das britische Element im Gouvernementsrat immer bedeutungsloser
wurde und schließlich gar nicht mehr vertreten war. Zweifellos machten
sich hier die veränderten Größenverhältnisse innerhalb
der europäischen Bevölkerung Samoas bemerkbar. So waren zu Anfang
der deutschen Kolonialverwaltung die Deutschen zwar schon die größte
Gruppe unter den „Fremden" in Samoa, aber sie stellten doch nur eine relative
Mehrheit, waren eher primi inter pares. Anfang 1914 dagegen bildete der
deutsche Bevölkerungsteil die ganz überwiegende Mehrheit der
als Europäer definierten Gruppe, der über eineinhalbmal stärker
war als der britische. Zu berücksichtigen ist allerdings, daß
der weitaus größte Teil der Deutschen - wie der Briten und anderer
Europäer - als Kinder und Kindeskinder der Verbindung zwischen europäischen
Männern und einheimischen Frauen entstammten - ein Charakteristikum
der „europäischen" Bevölkerung Samoas, auf das noch zurückzukommen
sein wird.
Jedenfalls nahm - äußerlich gesehen - der britische Einfluß
im deutschen Samoa mit der Zeit ab. Daran mag auch ein seit 1910 zunehmend
stärker werdendes nationales Bewußtsein der Deutschen nicht
unbeteiligt gewesen sein. Immerhin gab es die während dieser Periode
in Europa sich stetig verschärfende Polarisierung zwischen Briten
und Deutschen in Samoa nicht. Auch nach 1910, ja bis zum Ende der deutschen
Kolonialverwaltung und teilweise auch darüber hinaus, läßt
sich das Verhältnis zwischen Briten und Deutschen in Samoa nicht anders
als gut, teilweise sogar herzlich, bezeichnen. Das Gouvernement war noch
Anfang 1912 durchaus bereit, dem Rechnung zu tragen. So sollte eine in
Berlin erwogene, stärker demokratische Ausrichtung der Bestimmung
der Gouvernementsratsmitglieder (durch Wahl) und die parallel geforderte
Ausschließlichkeit deutscher Staatsangehöriger in diesem Gremium
zwar nicht abgelehnt, aber doch konterkariert werden. Da der Gouvernementsrat
in innersamoanischen Fragen kein Mitspracherecht besaß und dazu nicht
gehört wurde, entsprach er realiter einer beratenden Einrichtung,
deren Interessen sich im wesentlichen auf die Belange der Stadt und des
Umlandes von Apia richteten. Gouverneur Schultz aber bestand im Gegenzug
zur rechtlichen „Ger-ma-ni-sie-rung" des Gouvernementsrates bei einer gleichfalls
von Berlin vorgeschlagenen Gründung eines Gemeinderates darauf, daß
von vornherein die Teilnahme auch der nichtdeutschen europäischen
Bevölkerung Samoas an einem solchen Gemeinderat gewährleistet
würde. Nach Lage der Dinge konnte ein solcher Gemeinderat nur für
Apia geschaffen werden, sodaß die Politik für das europäische
Herz Samoas zukünftig sowohl von einem deutschen Gouvernementsrat
wie von einem eher international ausgerichteten Gemeinderat mitbestimmt
worden wäre.
Auch wenn die Dinge kurz vor Ausbruch des Europäischen Krieges
in Samoa eher in Fluß waren als zu Beginn der deutschen Herrschaft,
so ist doch festzuhalten, daß die Verwaltung bis zuletzt dem britischen
Element Ausdrucks- und Gestaltungsmöglichkeiten gestattete, die anderswo
undenkbar gewesen wären. Eingaben an die Verwaltung konnten in englischer
Sprache gerichtet werden (die Antworten waren in der Regel auf Deutsch
abgefaßt), dem Englischen kam in der „deutschen" Schule eine bevorzugte
Stellung zu, und bis Sommer 1914 bestimmte auf der größten Insel
Savai’i der britische Staatsangehörige Richard Williams als deutscher
- beamteter - Amtmann die Richtlinien der Verwaltung. Williams, der weder
Deutsch sprach noch verstand, und für den demzufolge das deutsche
Recht terra incognita war, hatte von Gouverneur Solf von Beginn an einen
Freibrief erhalten: Ohne Kenntnis und Rücksichtnahme auf deutsche
Regeln und Paragraphen solle er mit gesundem Menschenverstand und seinen
langjährigen Erfahrungen mit Samoa und den Samoanern die Administration
führen und exerzieren. Erst nach Bekanntgabe der britischen Kriegserklärung
wurde Williams am 8. August 1914 durch den Leiter der Regierungsschule
für Samoaner, Pfeil, ersetzt, der bis Ende August die Geschäfte
eines Stationsleiters von Savai’i wahrnahm.
An sich war die europäische Bevölkerung Samoas, mit zuletzt
offiziell gerade einmal 600 Personen, vernachlässigenswert. In der
Hand der Europäer befanden sich aber die großen Pflanzungen
und auch der Handel in und nach Samoa wurde weitgehend von Europäern
dominiert. Eine kleine Gruppe deutscher Siedler, die mit der Politik des
als liberal und anglophil geltenden Gouverneurs auf Samoa unzufrieden war,
muckte gelegentlich auf. Rebellion kann man dies kaum nennen, eher war
es ein Konglomerat von viel Geschwätz, Gerüchten, ungereimten
Vorstellungen und Hirngespinsten, das gelegentlich bis in den Reichstag
drang, aber für die von Solf vorgegebene Politik ungefährlich
blieb, weil der Gouverneur zum einen die dauernde Unterstützung wichtiger,
das Ohr des Kaisers erreichenden Marinekreise besaß, und zum anderen
Solf am Ende doch der beste Manipulator war, dem das Intrigenspiel von
Europäern gelegentlich wohl auf die Nerven ging, der sie aber genauso
gegeneinander auszuspielen verstand wie die Samoaner. „Durchschnittlich
bin ich gerissener, als die Leute, die mit mir verhandeln, mein persönlicher
Einfluß auf Weisse wie auf Eingeborene hat mich noch nicht im Stich
gelassen", schrieb er zu Anfang November 1904 privatissime an Bernhard
König, Dirigent in der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes.
So sind seine Auseinandersetzungen mit der „Leutnants-clique" um Deeken,
von Bülow und von Tyszka wie auch die damit in Zusammenhang stehende
Entlassung des deutschen Führers der fita fita, der samoanischen Polizei,
Eckenweber (1904), eher als Randglosse zur Geschichte Samoas in deutscher
Zeit zu werten, wie denn überhaupt vielem aus der kolonialen Zeit
Samoas das Anekdotenmäßige und Provinzielle anhaftet. Wie hätte
es auch anders sein können - bei einem Gebiet, dessen Größe
ziemlich genau derjenigen des heutigen Saarlandes entsprach und dessen
Gesamtbevölkerung nicht einmal mit der einer deutschen Mittelstadt
konkurrieren konnte?